Auszug aus einem Fachbeitrag von Dr. Laura Pipher, ND
Historisch betrachtet hatten die Menschen Zugang zu Fruktose in Form von Früchten, Honig und bestimmten Gemüsesorten. Der Verzehr von diesen zuckerhaltigen Nahrungsmitteln erhöhte die Überlebenschancen in Zeiten von Nahrungsknappheit aufgrund des hohen Kaloriengehalts, den Zucker liefert. Zucker kann in Fett umgewandelt werden; allerdings enthalten die in der Natur vorkommenden Nahrungsmittel auch Ballaststoffe, die die Aufnahme des Zuckers verlangsamen und begrenzen, sodass der Blutzuckerspiegel beim Konsum dieser Kalorien stabil bleibt.
Süßer Geschmack ist eines der intensivsten sinnlichen Vergnügen, das Menschen heutzutage erleben. Wenn wir Zucker konsumieren, werden Opioide und Dopamin im Gehirn freigesetzt, die ein Gefühl von Freude und Belohnung hervorrufen. Eine Sensibilisierung für die Mengen dieser Stoffe in unserem Körper löst das Verlangen nach mehr aus, um die gleiche Empfindung wieder zu verspüren, und verursacht so eine Abhängigkeit. Durch die Ausschüttung großer Mengen von Dopamin kann in den Zeiträumen zwischen den Zuckeraufnahmen ein Dopamin-Mangelzustand entstehen. Nach mehreren Wochen oder Monaten chronischen Zuckerkonsums kann dieser Mangelzustand zu Entzugserscheinungen führen, die sich durch ADHS-ähnliche Symptome wie Hyperaktivität, Leistungsabfall, Konzentrationsschwäche, Unaufmerksamkeit und depressive Verstimmungen ausdrücken und durch den Konsum von Zucker vorübergehend gelindert werden.
In vielen experimentellen Tierstudien wurde festgestellt, dass die Belohnungsempfindung durch Nahrung und Drogen anscheinend ähnlichen neuronalen Pfaden folgt. Es gibt sogar Hinweise dafür, dass zugesetzte, raffinierte Zucker genauso suchterzeugend sind wie Kokain, Nikotin, Alkohol, Tabak und Koffein. Um als abhängig machend zu gelten, muss der Zucker Entzugserscheinungen hervorrufen. Die Schwelle, ab der diese auftreten, und das Ausmaß des Entzugs sind von Mensch zu Mensch verschieden.
Zucker und hochglykämische Kohlehydrate bewirken auch im Gehirn die Ausschüttung des Neurotransmitters Serotonin, unser sogenanntes Glückshormon. Das ständige Überaktivieren der Serotoninproduktion kann langfristig zu einem Mangel führen, der sich auf die Stimmung auswirken kann. Ein Abfall des Blutzuckerspiegels kann die Zuckerabhängigkeit zusätzlich noch verstärken, was seinen Zusammenhang mit Depressionen, Angst, bipolarer Störung und ADHS erklärt.
Große Mengen an zuckerhaltigen Nahrungsmitteln und Getränken erhöhen nicht nur das Risiko für Fettleibigkeit, sondern auch für hohen Blutdruck, Insulinresistenz, Fettleber und Fettstoffwechselstörungen. Der übermäßige Konsum von Fruktose (wobei sich dies hierbei weniger auf Obst, sondern auf die Vielzahl der Fructose gesüßten Fertigprodukte bezieht) hat sich dabei als Hauptursache erwiesen. Leptin ist das Hormon, das von Fettgewebe ausgeschüttet wird, um Sattsein zu signalisieren und Überessen zu vermeiden. Fruktose bewirkt nachweislich eine Leptinresistenz, reduziert die Insulinempfindlichkkeit und beeinträchtigt die Fettverbrennung und den Energiestoffwechsel. Zusätzlich aktiviert Leptin den Prozess, der zur Einlagerung von Fett in der Leber bis hin zu einer Fettlebererkrankung führt.
Stress löst nachweislich einen Anstieg von Appetit, Alkoholkonsum und Drogenmissbrauch aus. Allerdings scheinen die Auswirkungen von Stress auf die Nahrungsaufnahme bei Männern und Frauen unterschiedlich zu sein. Frauen tendieren dazu, sich gesünder zu ernähren, wenn sie nicht gestresst sind und neigen zum Konsum von mehr Zucker und gesättigten Fetten, wenn sie unter Stress stehen. Der Hormonhaushalt spielt hierbei eine wesentliche Rolle.
Körperliche Betätigung hat die Fähigkeit, den Teufelskreis einer Sucht zu durchbrechen, indem er die Aktivität von Neurotransmittern anregt und Euphorie auslöst. Zum Beispiel verringerte moderates aerobes Training über einen Zeitraum von zwölf Wochen nachweislich Heißhunger und erhöhte die kognitive Kontrolle.
Wenn man versucht, den Zuckerkonsum zu senken, ist es wichtig, die vielen verschiedenen Faktoren zu berücksichtigen, die zu dem vermehrten Auftreten von Heißhunger beitragen. Diese können die Ernährung und die Lebensgewohnheiten, die Gene, Stress, die Aktivität der Neurotransmitter, Körperbau und Hormone umfassen. Ein ganzheitlicher Ansatz kann helfen erfolgreich und langfristig, den Zuckerkonsums zu reduzieren und die Gesundheit enorm zu fördern.
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