Die Mayo-Klinik, eine US-amerikanische Non-Profit-Klinik Organisation, definiert Essstörungen als „ernste Erkrankungen im Zusammenhang mit länger anhaltendem Essverhalten, das sich negativ auf unsere Gesundheit, Emotionen und Fähigkeit, in wichtigen Lebensbereichen zu funktionieren, auswirkt.“ Sie definiert sie zusätzlich mit der Feststellung, dass "die meisten Essstörungen eine zu starke Konzentration auf das Gewicht, die Körperform und die Ernährung haben, was zu gefährlichem Essverhalten führt." Diese Definition ist nur ein hilfreicher Ausgangspunkt, der keinerlei Einblick in das Leben mit einer Essstörung bietet.
Im folgenden Artikel hilft uns Dr. Natalie Mulligan Kanada zu verstehen, wie sich das Leben mit einer Essstörung anfühlt, indem sie vor allem beschreibt, was eine Essstörung nicht ist.
Was eine Essstörung nicht ist:
Normal: Eine Essstörung ist nichts, was eine durchschnittliche Person verstehen kann, es sei denn, sie oder ein nahestehender Mensch hat sie persönlich erlebt . Das heißt, es ist keine Lebenserfahrung, die zugeordnet werden kann wie zum Beispiel ein gebrochenes Herz. Es geht weit über das hinaus, was beispielsweise zuordenbare körperliche Beschwerden sind oder der Wunsch, dass ein bestimmter Körperteil anders aussehen sollte oder Gewicht zu verlieren. Das sind Erfahrungen, die die meisten Menschen erlebt haben. So fühlt sich eine Essstörung aber nicht an.
Eine Phase: Eine Essstörung ist keine kurzzeitige Reaktion auf ein Lebensereignis und nichts, aus dem man herauswächst. Es wäre „normal“, Gewichtsschwankungen nach einer Trennung, einem Jobverlust oder größeren Umbrüchen im Leben zu erleben, weil vorübergehende Appetitveränderungen solche einschneidenden Lebensereignisse begleiten. Eine Essstörung ist deutlich schwerwiegender und verschwindet nicht, wenn sich die Wogen geglättet haben.
Der Wunsch, Gewicht zu verlieren: Essstörungen beginnen nicht mit dem rationalen Gedanken, abnehmen zu wollen, unabhängig von dem Gewicht, das man gerade hatte, als die Essstörung begann. Obsession mit Körpergewicht ist eines der Symptome einer Essstörung und beginnt aber, nachdem die Essstörung bereits existiert. Essstörungen beginnen mehr oder weniger zufällig, und die Person mit der Essstörung stolpert über Nahrung als Ausdruck der emotionalen Turbulenzen, die sie erlebt. Im weiteren Verlauf der Essstörung wird immer mehr Wert auf Gewichtsverlust und Körperform gelegt, aber das ist nicht der Auslöser der Essstörung.
Ein weiterer wichtiger Unterschied ist das Wort „Wunsch“: Für jemanden mit einer Essstörung ist Gewichtsverlust ein Zwang, der einen ganz anderen Geschmack hat als „5 bis 10 Pfund verlieren zu wollen."
Gekennzeichnet durch einen besonderen Körpertyp oder Körpergewicht: Es ist ein Mythos, dass jemand mit einer Essstörung so aussieht, als hätte er eine Essstörung. Die meisten sind eigentlich nicht offensichtlich, weil die Person ganz normal aussieht. Das Lehrbuchbild, das einem in den Sinn kommt, wenn man an eine Essstörung denkt, ist das Aussehen eines ausgezehrten Körpers von einem an Magersucht leidenden Menschen. Die meisten Betroffenen sehen aber nicht so aus und die Form oder Größe des Körpers ist kein zuverlässiger Indikator dafür, wie schlecht es ihnen geht.
Sensibilität oder Unsicherheit gegenüber dem Körper als Ganzes oder Teilen des Körpers: Dies fällt in die Kategorie einer normalen menschlichen Erfahrung — etwas, das wir alle nachvollziehen können. Das macht es standardmäßig nicht zu einer Essstörung. Jemand mit einer Essstörung wird sich definitiv unsicher in seinem Körper fühlen, aber die Auswirkungen dieser Unsicherheit reichen weit über den Körper hinaus. Die Unsicherheit, die eine Essstörung begleitet, lähmt und betrifft alle Lebensbereiche, die scheinbar keinerlei Bezug zum Körper haben.
„Kontrolle“: Viele Menschen, die frühere Untersuchungen über Essstörungen durchgeführt haben, denken, dass es um Kontrolle geht. Dies ist allerdings eine sehr vereinfachte Sichtweise. Bei einer Essstörung geht es um einen Verlust des Selbst, um das Fehlen von Selbstwert oder Selbstliebe, um einen verzweifelten und fehlgeleiteten Versuch, akzeptabel oder sympathisch zu sein, um die Unfähigkeit, Leiden zu tolerieren, und um eine Illusion der Hilflosigkeit gegenüber einem erniedrigend mächtigen Tyrannen - der Essstörung. Eine Essstörung beginnt, wenn eine Reihe widriger Lebensereignisse zur falschen Zeit passieren, wenn jemand nicht über die Fähigkeit verfügt, sie zu bewältigen. Dies auf „Kontrolle“ zu reduzieren, ist vorsichtig ausgedrückt, beleidigend.
Aufmerksamkeitssuchendes Verhalten: Wenn jemand an einer akuten Essstörung leidet, ist Aufmerksamkeit das absolut Letzte, was er will. Essstörungen bieten einen furchtbar isolierenden Raum, in dem sich ein Mensch vollständig von der Welt und den Zwängen seines Lebens lösen kann.
Ist nichts, das man einfach hinnehmen sollte und erst recht keine Entscheidung: Jemand mit einer Essstörung wird sich wahrscheinlich nicht einfach davon losreißen können. Er wird eine Menge professioneller Hilfe brauchen, und je länger die Essstörung existiert, desto schwieriger wird es, sich davon zu lösen, weshalb sie von Anfang an ernst genommen werden muss. Essstörungen sind schwere medizinische Erkrankungen. Wenn eine Person anfängt, Verhaltensweisen einer Essstörung zu zeigen, ist sie sich nicht bewusst, was sie tut und in Bewegung setzt. Viele Jahre später würden alle Betroffenen sagen, dass sie sich wünschen, zu ihrem jüngeren Selbst zurückkehren zu können und diesen Weg von vornherein nie beschritten zu haben.